Als Gott nach Neapel kam 11FREUNDE
Dieser Text erschien ursprünglich in unserem 11FREUNDE SPEZIAL „Die 80er Jahre“.
Nie war die Euphorie größer gewesen. Auch Omar Sívori hatten sie 1965 begeistert empfangen, als der Argentinier in Kampanien einen Neuanfang wagte, weil Juventus ihn für zu alt befunden hatte. Doch die ersehnte Meisterschaft konnte auch er nicht nach Neapel bringen. Nun, fast 20 Jahre später, aber schien sich alles zum Guten zu wenden. Maradona war gekommen, um die Neapolitaner von ihren Leiden zu erlösen. Die Stadt war gezeichnet von den Verbrechen der Mafia, von Arbeitslosigkeit und Armut. Mit einer schwarzen Lockenmähne schien der gedrungene Messias ein Wiedergänger von Masaniello zu sein, dem Held des Aufstandes, bei dem sich die Neapolitaner im Juli 1647 gegen ihre spanischen Besatzer aufgelehnt hatten. Die Spanier waren zwar längst in die Flucht geschlagen, doch das Volk Neapels darbte nun unter dem Joch der großen Klubs aus dem Norden: Milan, Inter, Juventus. Aus Städten, in die Tausende von Neapolitanern auf der Suche nach dem Glück emigriert waren. Nicht eine Meisterschaft hatten sie dem SSC Neapel in seiner bis dahin 78-jährigen Geschichte gegönnt.
Der beste Spieler der Welt – und das in Neapel!
Diego Armando Maradona landete am 5. Juli 1984 in Neapel, um sich offiziell seinen neuen Fans vorzustellen. Er betrat das Stadio Sao Paolo, und die Menschenmenge, die seiner Ankunft beiwohnen wollte, schien ihn fast zu erdrücken. 78000 Menschen hatten den symbolischen Eintritt von 1000 Lire bezahlt, um den Messias sehen zu können. 253 Journalisten, 78 Fotografen und etliche Fernsehsender hatten sich akkreditiert. „Es waren nur noch 20 Tage bis zu Saisonbeginn. Ich kam aus dem Urlaub und fuhr ins Stadion zu der Veranstaltung. So voll hatte ich Sao Paolo bis dahin nur bei Spielen gegen Juve erlebt”, erzählt Luigi Caffarelli, der bis 1987 beim SSC Neapel spielte. Auch wenn die Kommerzialisierung den Fußball in diesen Tagen noch nicht gänzlich in ihren Klauen hatte, war Maradonas Transfer eine Sensation. Denn einen Spieler seiner Kategorie konnten sich auch damals nur Juventus, Inter oder Real leisten. Doch er hatte sich für Neapel entscheiden. Er, der beste Spieler der Welt. Seine Landung in San Paolo war also nicht nur das Versprechen auf sportliche Erfolge, sie symbolisierte auch für die Menschen die Hoffnung auf bessere Zeiten. Bruno Giordano, Maradonas Teamkollege beim SSC bis 1988: „Durch seine Ankunft schaute die ganze Welt auf Neapel.”
Schon vorher war der Argentinier ein Abenteurer gewesen. Pierpaolo Marino, 1984 Generaldirektor bei US Avellino, dem Lokalrivalen aus Kampanien, der damals in der Serie A spielte, hatte über Umwege von dem Zerwürfnis zwischen Maradona und seinem Klub, dem FC Barcelona, erfahren. Avellino konnte es sich nicht leisten, Maradona zu verpflichten. Also fragte Marino herum, ob nicht ein anderer Klub Interesse hatte: Juventus sagte ab, weil sie mit Boniek und Platini schon bestens besetzt waren. Sampdoria setzte auf Roberto Mancini und Gianluca Vialli – also schlug Marino die Sache Antonio Juliano vor, dem Sportdirektor des SSC Neapel.
Juliano hatte sich erst gerade bei einem Transfer die Finger verbrannt. Er wollte den Brasilianer Sócrates nach Neapel holen. Die Verhandlungen liefen gut, der Deal schien nur noch Formsache zu sein. Dann unterbreitete Tito Corsi, der Generaldirektor des AC Florenz, dem Brasilianer ein neues Angebot – und Socrates sagte ab. Hinzu kam, dass die Verträge der beiden ausländischen Stars im Team der Neapolitaner – der des Niederländers Ruud Krol und des Brasilianers Dirceu – ausliefen. Juliano brauchte also dringend ein Erfolgserlebnis. Er weihte Ingenieur Corrado Ferlaino, den SSC-Präsidenten, in seinen Plan ein. Ferlaino zögerte. Maradonas Transfer würde den ohnehin klammen Klub einen Batzen Geld kosten. Doch kaum hatten einige Klub-Funktionäre von dem Vorhaben Wind bekommen, machte die Nachricht bereits in den Medien die Runde.
„Hätten wir ihn nicht dort gesehen, mitten unter uns, wir hätten es nie geglaubt“
Juliano klebte zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr an Maradonas Fersen. Nun verging im lokalen Fernsehen kein Tag mehr, ohne dass über eine mögliche Verpflichtung verhandelt wurde. An einem Tag wurde Vollzug gemeldet, am nächsten hieß es wieder, der Transfer sei geplatzt. „Bei den Fans ging die Angst um, dass sich das Ganze in Wohlgefallen auflösen würde. Wie so oft in Neapel: Vieles verpuffte einfach im Nichts”, erzählt Moreno Ferrario, bis 1988 Teamkollege Maradonas in Neapel. Auch die Mannschaft wurde langsam unruhig. Doch dann tauchte der Argentinier plötzlich im Trainingslager auf. „Diego war in seinem Zimmer, als wir vom Trainingsgelände kamen. Wir warteten beim Essen. Es war großartig, als er dann runter kam. Aber hätten wir ihn nicht dort gesehen, mitten unter uns, wir hätten es nie geglaubt”, sagt Costanzo Celestini.
Zwischen Neapel und Barcelona begann erst jetzt das echte Kräftemessen. Barça wollte Geld, viel Geld, und Maradonas Preis stieg wie eine hippe Aktie in den glücklichen Tagen des Start-Up-Booms. Die Banken schalteten sich ein, um Präsident Ferlaino zu unterstützen, den Pibe de Oro (dt. Goldjungen) nach Neapel zu holen. Und Maradona? Der wollte nun mit Haut und Haaren nach Neapel. Er hatte die Nase voll von Barcelona und Katalonien. Schon jetzt wusste er, dass der Trainer der Blaugrana, sein Landsmann César Luis Menotti, den Verein verlassen würde. Seine Stelle sollte der Engländer Terry Venables übernehmen. Maradona und ein Engländer? Nach dem Falkland-Krieg? Das kam für Maradona nicht in Frage. Außerdem waren in Katalonien die an seine Person geknüpften Erfolge ausgeblieben und José Luis Núñez, der baskische Präsident, hatte in den Kanon des Nörgelns, den die Medien sangen, eingestimmt. Neapel sollte Maradonas Rettung aus dem goldenen Käfig in Barcelona werden.
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeRocBus86tq2amkZi1brrEmqeepF2grq57kXFrb25pag%3D%3D